Weibergeschichten Teil 1

Julia, 53, die Fotografin

Das bin ich, Julia.

Der erste Beitrag in meinem Blog der WEIBERGESCHICHTEN handelt von mir selbst.

Ich bin Julia, seit 53 Jahren auf dieser Erde. Eine Frau durch und durch, und von der Schöpfung mit einem Körper ausgestattet, der mir einen wunderbaren Sohn geschenkt hat.

Als Fotografin beschäftige ich mich natürlich zuallererst mit dem Äußeren des Menschen, den ich vor meiner Kamera habe und das sind zum größten Teil Frauen.

Ich sehe jede, die vor meiner Linse steht mit einem liebevollen Auge und möchte durch das jeweils stimmigste Licht und all den anderen Werkzeugen, die mir durch mein Handwerk zur Verfügung stehen, die individuelle Schönheit und Persönlichkeit jeder Einzelnen bestmöglich herausarbeiten.

Das wichtigste dabei ist mir immer, dass sie sich selbst wiedererkennt und sich richtig, richtig gut findet.

Vor ein paar Jahren fällt mir auf, dass ich genau das, was ich täglich in der Arbeit mit meinen Kundinnen praktiziere, jedoch eigentlich nicht bei mir selbst umsetze. Ich bin sogar äußerst hart zu mir und meinem Körper und der innere Kritiker ist manchmal leise, manchmal laut, ja viel zu laut in meinem Kopf, und wenn im Hintergund, dann auch gern ungerufen zur Stelle.

Das hat natürlich persönliche Gründe. Als Kind in der Grundschule entwickle ich mich immer mehr zu einem Pummelchen und als Teenager bin ich stark übergewichtig und bringe fast 90 Kilo auf die Waage bei einer Körpergröße von 1,63 cm. In der Schule werde ich manchmal gehänselt, das ist schmerzhaft, aber viel schmerzhafter empfinde ich es, ausgegrenzt zu werden, besonders von Gleichaltrigen und der coolen Truppe, zu der man ja eigentlich so gerne dazugehören möchte.

Durch das nicht der gesellschaftlichen Schönheitsnorm entsprechende Aussehen werde ich auf auf etwas Minderwertiges reduziert, nicht nur von anderen Kindern und Mitschülern, sondern auch Erwachsenen, sogar manchem Lehrer. Wenn ein Kind stark übergewichtig ist, hat das meist tiefere Gründe als die rein körperlichen und so ist es auch bei mir. Meine damaligen familiären Lebensumstände erlauben aber keinen Platz für solche Einsichten und so werde ich in den späten achtziger Jahren zu einem Mädchen und später zu einer jungen Frau mit einem fast nicht vorhandenen Selbstbewusstsein.

Gott meint es sehr, sehr gut mit mir. Ich lerne mit Anfang 20 meinen Mann kennen, der mir immer wieder zeigt, wie sehr er mich liebt, auch in den Momenten, besser gesagt Jahren, in denen ich es selbst nicht kann und dass seine Liebe in keiner Weise abhängig ist von dem Gewicht, das die Waage gerade anzeigt. Dafür bin ich täglich dankbar.

Aber, ich merke auch, sogar seine Liebe ist nicht genug, um meine Verletzungen zu heilen, denn sie kann die Liebe, die aus einem selbst sich selbst gegenüber kommt und kommen muss, nicht ersetzen.

Wenn diese Liebe und Selbstannahme nicht da ist, dann fehlt das wichtigste Puzzle-Teil zur Heilung der inneren Verletzungen. Dieses Puzzle-Teil kann keine Diät, keine Ernährungsumstellung, kein tägliches Workout-Regime und auch keine gern gesuchte Ablenkungsmaßnahme ersetzen.

Und so wird mir vor einiger Zeit immer mehr bewusst, dass meine Berufswahl, eigentlich nie eine wirkliche Wahl war, sondern eine Entscheidung meiner Seele, mit der ich unbewusst die Heilreise zu mir selbst angetreten habe. Sie weist mich praktisch im täglichen Doing daraufhin, genau da bei mir hinzusehen, wo ich doch bis dato auf das Äußerste so gar nicht hinschauen wollte.

Ich begebe mich also auf eine Reise zu mir selbst, gar nicht wirklich wissend, was es denn genau ist, was ich suche, aber in dem starken Bewusstsein, das etwas in mir Heilung braucht.

Heute kann ich sagen, dass das, was ich gesucht und gebraucht habe, eine Herzöffnung war.

Und zwar die Öffnung meines verletzten, verkrusteten Herzens zu MIR SELBST. Meine Seele zwingt mich endlich hinzusehen und was ich sehe, ist ein erschütterndes Ausmaß an Traurigkeit. Ich sehe Splitter von Ablehnung, Bewertung und die Abneigung meiner Selbst mir selbst gegenüber. Ich spüre Scham und da ist auch irgendwo ein Gefühl der Schuldigkeit nicht der Norm zu entsprechen, anders zu sein.

Da hinzusehen gelingt natürlich nicht sofort und auch nicht lang genug, denn es ist unglaublich schmerzhaft. Es braucht Mut, es braucht Beharrlichkeit den eigenen Schweinehund zu überwinden, um sich wirklich anzuschauen und die Stärke und einer Kriegerin, die durch das tiefe Tal der Tränen schreiten kann. Irgendwie finde ich diesen Mut in mir, denn ich spüre gleichzeitig auch das Licht und die Kraft der Rebellin in mir.

Durch diesen Prozess gelange ich zu einer ungekannten Annahme und Akzeptanz meiner Selbst, vor allem die des verletzten Kindes und jungen Mädchens. Doch auch das ist ein Prozess, denn die automatisierten Denk-und Verhaltensmuster von Jahrzehnten lassen sich natürlich nicht über Nacht in Luft auflösen. Wie schön es wäre, die LÖSCHEN-Taste zu drücken und keinerlei Rückstände mehr zu finden.

Doch es ist ja der WEG, der das eigentliche ZIEL ist. Diesen Satz habe ich nun in seiner tieferen Bedeutung verstanden.

Meine Belohnung ist die neu gefundene Fähigkeit die alte Geschichte und die alten, tief im Körper und im Unterbewusstsein eingespeicherten Emotionen jeden Tag ein Stück mehr GEHEN ZU LASSEN und somit DIE Transformation meines (Selbst-)Bewusstseins geschehen zu lassen, die ich in jahrelangen Therapien der vielfältigsten Art solange gesucht und nie gefunden habe.

Die Fotos die ihr oben seht, hat meine Freundin Alica letzte Woche von mir einen Tag vor meinem 53-zigsten Geburtstag gemacht. Meine diätresistenten Oberschenkel mit ihren Bindegewebsrissen und Cellulite-Dellen waren in meinen Augen immer die unschönste Stelle an meinem Körper, deshalb wollte ich mich sozusagen einem Selbsttest unterziehen, um zu sehen, was denn wirklich Sache ist in meinem Inneren:

Der Set-up im Atelier steht, ich gebe Alica kurz eine kleine Bedienungsanweisung zu meiner Kamera und los geht´s. Für einen kurzen Moment frage ich mich, was ich mir eigentlich bei der ganzen Sache gedacht habe….denn, bei der sonst so souveränen Queen of Posing, die ihre Kundinnen immer wunderbar führen und anleiten kann, meldet sich jetzt, nur in der Unterhose vor der Kamera stehend, das unsichere Mädchen zu Wort…”Was ist, wenn ich mir nun doch nicht gefalle und ich noch nicht soweit bin? Was ist, wenn ich lächerlich aussehe? Was ist, wenn ich meinen Körper immer noch nicht lieben kann?” - Ich stehe übrigens auch vollständig angezogen immer lieber HINTER als vor der Kamera. - Nach ein paar Minuten der absoluten Unsicherheit meldet sich mein Herz und flüstert leise: “Julia, das bist du. Egal was dabei rauskommt, es ist gut so. Nimm es an, wie es ist”

Ich bin so froh, dass ich den fast schon automatischen Impuls meine Oberschenkel und Hüften zu schmälern und die Dellen in meinen Schenkeln zu retuschieren ignoriert habe, denn das sind Handgriffe, die ich natürlich aus dem Effeff beherrsche und ich bin Alica sehr dankbar, dass diese Bilder entstanden sind.

Ja! Ich kann mit 53 endlich sagen: Ich fühle mich heute wohl in meinem Körper und nehme mir bewusst Zeit mich täglich mit ihm zu verbinden.

Ich höre ich darauf, was er mir sagen will, was genau er heute braucht, was ihm guttut und was nicht, denn das ist nicht jeden Tag gleich. Ja, Ich habe gelernt anzunehmen, zuzuhören und weich zu werden, mir selbst gegenüber. Ich bin so, wie ich bin, und das ist gut so.

Ich weiß, mein Körper ist ein Ausdruck meiner Seele und der Schöpfung und deshalb ist er und war er immer und zu jedem Zeitpunkt wunderbar göttlich.

Ich danke jeder einzelnen Frau, die den Weg vor meine Kamera gefunden hat, und durch ihr Vertrauen in mich und meine Arbeit auch Teil meines eigenen, ganz persönlichen Heilprozesses war.

Heute sehe ich nicht nur immer das Beste und Schönste an den Menschen vor meiner Kamera, sondern endlich auch in mir selbst.

LET LOVE RULE.

Shine, baby shine.

Shine your Light! Always!

P.S. Die nächsten Beiträge in diesem Blog handeln von anderen Weibergeschichten.

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Love, Julia.